Integration in den Arbeitsmarkt

Aus Flüchtlingen werden Kollegen

Der Einstieg in den Arbeitsmarkt ist ein wichtiger Schritt in der Integration, das städtische Team Flüchtlingsarbeit hilft dabei. Bei der Stadt Ludwigsburg sind auch mehrere Flüchtlinge beschäftigt – drei von ihnen werden hier vorgestellt. Hinter jedem Flüchtling steht eine individuelle Biografie: Für den einen ist eine Berufsausbildung der beste Weg in die Zukunft, ein anderer muss schnell Geld verdienen oder braucht Hilfe für die Anerkennung des Diploms.

Für jeden Geflüchteten die passende Lösung zu finden, das ist die wichtigste Maxime für Tabea Bürkle. Sie ist Arbeitsmarktkoordinatorin im Team Flüchtlingsarbeit bei der Stadt Ludwigsburg. Eine von elf Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die unbürokratisch und ideenreich dafür sorgen, dass Flüchtlinge in Ludwigsburg unter anderem Wohnung und Arbeit finden.

„Uns ist es wichtig, dass die geflüchteten Menschen, die bei uns in Ludwigsburg leben, sich so schnell als möglich in die Stadtgesellschaft integrieren und eine Perspektive bekommen. Dafür baut unser Team Flüchtlingsarbeit Strukturen auf und berät die Menschen in ihren oft ganz unterschiedlichen Fragen und Problemen“, sagt Erster Bürgermeister Konrad Seigfried dazu. Tabea Bürkle, die Arbeitsmarktmanagement studiert hat, führt Gespräche mit potentiellen Arbeitgebern in der Stadt, ist aber vor allem Ansprechpartnerin für Flüchtlinge, die bei der Stadt Ludwigsburg selbst arbeiten.

So hat die Stadt zum einen über 30 niederschwellige Beschäftigungsangebote geschaffen, bei denen Geflüchtete zum Beispiel in Kindertagesstätten, bei den Technischen Diensten oder in der Essensausgabe der Kantine 20 bis 30 Stunden in der Woche mitarbeiten und hierfür eine Aufwandsentschädigung von 80 Cent in der Stunde bekommen. Dazu kommen fünf sozialversicherungspflichtige Stellen, die von Flüchtlingen besetzt sind.

Tanzen mit den Azubis

Hermon Membrathu arbeitet bei den Technischen Diensten Ludwigsburg

Der 28-jährige Hermon Membrathu ist vor über zwei Jahren aus Eritrea nach Deutschland geflohen. Jetzt arbeitet er bei der Gebäudeunterhaltung der Stadt und ist ein sehr beliebter Kollege.

Mit Metall hatte Hermon Membrathu schon in Eritrea zu tun. Jetzt arbeitet der 28-Jährige in der Schlosserei-Werkstatt der Gebäudeunterhaltung bei den Technischen Diensten der Stadt Ludwigsburg. Zusammen mit 30 Kollegen und vier Auszubildenden. Gerade kümmert er sich um Schließzylinder, die ausgewechselt werden müssen. „Arbeit ist überall gleich“, sagt er und lächelt.

In seiner Heimat hat Membrathu mit Metall, aber auch als Maler gearbeitet. Bis er vor der brutalen Diktatur geflohen ist, die sein Leben zu zerstören drohte. Eritrea ist neben dem Iran, dem Irak, Syrien und Somalia eines der Länder, deren geflüchtete Bürger in Deutschland als Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive gelten.

Die Familie ist in alle Winde zerstreut

Über die Umstände seiner Flucht vor über zwei Jahren will Hermon Membrathu nicht reden. Nur soviel: Seine Familie ist in alle Winde zerstreut. Die Mutter lebt im Libanon, ein Bruder in Äthiopien. Über das Telefon halten sie Kontakt. Eigentlich wollte der Ertrieer, der viel jünger aussieht, als er ist, nach England fliehen. Jetzt lebt er zusammen mit einem anderen Geflüchteten in einer Anschlussunterbringung der Stadt, macht drei Mal in der Woche Fitness nach der Arbeit und sagt: „Deutschland ist gut.“

Noch fehlt es Hermon Membrathu schwer, die richtigen Worte zu finden. „Er muss besser Deutsch lernen“, sagt sein Chef Willi Springmann. Dann könnte er auch eine Ausbildung beginnen. Ansonsten ist Springmann, der Bereichsleiter der Gebäudeunterhaltung überzeugt, dass der neue Kollege seinen Job gut macht.

Und er ist beliebt: „Unsere Azubis haben viel Freude mit ihm“, sagt Springmann. „Die Kollegen nehmen ihn nach Feierabend auch mit zum Fußball – genauso funktioniert Integration“, ist Springmann überzeugt. „Kollegen gut“, sagt Membrathu und lächelt wieder.

Tabea Bürkle, die Arbeitsmarktkoordinatorin im Team Flüchtlinge bei der Stadt, war beim Vorstellungsgespräch des Eritreers dabei. Und sie hat beim Betriebsfest der städtischen Mitarbeiter im September erlebt, wie viel Spaß Hermon Membrathu und seine Kollegen miteinander hatten. „Er war der König der Tanzfläche. Mir sind Freudentränen in die Augen gestiegen, als ich gesehen habe, wie ihn seine Kollegen gefeiert haben“, erinnert sich Tabea Bürkle.

Ein Ingenieur als Sprachtalent

Mohammed Alsheikh arbeitet im Fachbereich Stadtplanung und Vermessung

Zwei Vermessungsingenieure: Michael Wilhelm und Mohammed Alsheikh (rechts).

Der Krieg in Syrien hat die Berufspläne von Mohammed Alsheikh zunichte gemacht. Doch jetzt arbeitet der Bauingenieur in Ludwigsburg beim Vermessungsamt und zeigt dort, was er kann. Unter anderem schwäbisch.

Zwei Männer mit orangefarbener Weste stehen vor einem Tachymeter am Schorndorfer Torhaus in der Tügelstraße. Es sind Vermessungsingenieure: Michael Wilhelm und Mohammed Alsheikh. Sie sind bei der Bestandsaufnahme. Im nächsten Jahr soll hier der Straßenbelag erneuert werden, vorher muss der Ist-Zustand dokumentiert werden, die Gebäude werden aufgenommen und vermessen.

Mohammed Alsheikh hat in Syrien Bauingenieurswesen mit dem Schwerpunkt Vermessung studiert. 2010 hat er sein Studium abgeschlossen, 2011 begann der Krieg. „Zum Glück sind die Geräte überall auf der Welt gleich“, sagt Alsheikh. Als der 31-Jährige sich auf seine jetzige Stelle in Ludwigsburg beworben hat, war er dennoch wenig optimistisch. „Ich hatte keine Hoffnung.“

Zu dieser Zeit war er noch beim Landratsamt in Waiblingen als Praktikant beschäftigt. Dort hat sein jetziger Vorgesetzter angerufen – und nur Gutes über ihn gehört. Den Eindruck, den Alsheikh in Waiblingen hinterlassen hat, hat ihm auch die Tür für die Arbeit beim Fachbereich Stadtplanung und Vermessung in Ludwigsburg geöffnet.

Neues Programm schnell gelernt

Im Moment arbeitet er vor allem im operativen Bereich mit und bringt sich in Sachen Auto-Cad auf den neusten Stand. Dieses Programm ist neu für ihn, doch mittlerweile kann er auch damit umgehen und die Daten vom Feldrechner übertragen und ausspielen. Mohammed Alsheikh hat einen immensen Ehrgeiz.

Der Ingenieur hat in den vergangenen eineinhalb Jahren, seit er in Deutschland ist, so gut deutsch gelernt, dass er die Stufe C1 beim Spracherwerb erreicht hat. Arabisch und englisch spricht er sowieso. Er könnte sich auch vorstellen in seiner Freizeit als Dolmetscher zu arbeiten, die werden schließlich oft gebraucht.

Der Ingenieur aus Syrien ist mit einem Cousin zusammen geflüchtet. „Es ist wahrscheinlich als Single leichter, sich am Anfang in einem fremden Land einzuleben“, sagt Alsheikh. „Ich habe ein Ziel gehabt – dass ich innerhalb von einem Jahr einen Job finde“. Es ist ihm gelungen.

Dem ernsthaften Mann ist es aber wichtig, sich zu bedanken – bei Freunden, die ihm hier geholfen haben, sich zurecht zu finden. Ohne seine Nachbarn in Neustadt, Ute und Jörg Warth, wäre ihm manches schwerer gefallen. Die trifft er nach wie vor regelmäßig am Wochenende, ansonsten liest er gerne – natürlich auf deutsch – Thriller von Dan Brown, geht joggen oder spielt Tischtennis.

„Wir dachten in Syrien, die Deutschen sind zurückhaltend. Das Gegenteil ist der Fall, sie sind freundlich und offen“, sagt er über seine neuen Landsleute. Das sagt auch sein Kollege und Vorgesetzter Thomas Fleischer über ihn: „Er saugt alles auf, ist interessiert und denkt mit. Aber man kann mit ihm auch Witze machen. Und er versteht sogar schwäbisch.“

Sozialarbeit statt BWL

Yazan Al-Rojouleh leistet Bundesfreiwilligendienst bei der Stadt

Im Leben des 23-jährigen Syrers Yazan Al-Rojouleh ist vieles anders geworden. Er hat in Damaskus Betriebswirtschaft studiert. Jetzt arbeitet er in Ludwigsburg bei der Stadt als Bufdi und möchte gerne Sozialarbeiter werden.

Yazan Al-Rojouleh ist Bufdi – Bundesfreiwilligendienstleistender. Ganz bestimmt hat er in seiner Heimat Syrien von diesem Wortungetüm in bestem Bürokratendeutsch noch nie gehört. Dort hat der 23-Jährige Betriebswirtschaft studiert und bis vor knapp zwei Jahren weder mit Sozialarbeit noch mit der deutschen Sprache etwas zu tun habt. Das hat sich geändert, wie so vieles.

„In Syrien ging es mir ums Geld. Jetzt weiß ich, was ich eigentlich machen möchte“, sagt Al-Rojouleh in fast akzentfreiem und fehlerfreiem Deutsch. Er will mit Menschen zu tun haben – „ich möchte Sozialarbeit lernen“. In seinem Job als Budfi im Fachbereich Bürgerschaftliches Engagement und Soziales ist er als Unterstützer und Dolmetscher mit dabei, wenn Sozialarbeiter Flüchtlingsfamilien besuchen. Er kann oft besser verstehen, wo das Problem liegt.

„Neulich war ich bei einer Mutter dabei, die wollte, dass ihre Kinder an einer anderen Schule den Deutschkurs machen. Der Sozialarbeiter hat das nicht verstanden. Ich schon, ich kenne die Hintergründe und die Probleme“, erzählt Al-Rojouleh. Gerade sitzt er vor dem Computer und arbeitet an Tabellen. Auch das gehört dazu.

Heimat ist da, wo die Freunde sind

Der junge Syrer aus Damaskus ist zusammen mit seinem Bruder den gefährlichen Weg über das Mittelmeer gekommen, ist in Griechenland gelandet, über Mazedonien bis nach Karlsruhe gekommen und von dort über Stationen in Bruchsal und Tamm in Ludwigsburg angekommen. In neun Monaten hat er Deutsch gelernt, und wie. „Wenn man die Sprache nicht kann, hat man keine Chance, in dem Land zu leben“, sagt Al-Rojouleh.

In Tamm hatte er einen Job als ein Ein-Euro-Jobber in der Bücherei. „Das war eine gute Chance für mich, die Sprache zu entwickeln“, sagt er. Die Chefin der Bibliothek hat ihn auf die Bufdi-Stelle aufmerksam gemacht, die in der Zeitung ausgeschrieben war.
Yazan Al-Rojouleh wirkt optimistisch und fröhlich, sein Lächeln ist gewinnend, er hat Charme und Präsenz. Und doch: Wenn die Nachrichten aus seiner alten Heimat schlecht sind, dann merkt man ihm das auch an.

Tabea Bürkle, die Arbeitsmarktkoordinatorin im Team Flüchtlinge beim Fachbereich Bürgerschaftliches Engagement arbeitet Tür an Tür mit ihm. „Manchmal ist er auch traurig“, weiß sie. „Ja, es ist schwer ohne Familie“, sagt Al-Rojouleh, der in Tamm in einer Flüchtlingsunterkunft lebt. „Aber Heimat ist da, wo die Freunde sind“, sagt er über seine Zukunft. Und die liegt für ihn in Deutschland.

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